Der konkrete Bezug der Waldenserkirche zu Worms sitzt auf dem Reformationsdenkmal zu Füßen Martin Luthers: Petrus Waldes oder Waldus ist einer der vier Vorreformatoren neben Hieronymus Savonarola, John Wyclif und Jan Hus. Der Kaufmann aus Lyon ließ schon 1174 die Bibel in die Volkssprache übersetzen, um sie den Menschen zugänglich zu machen, verteilte seinen Besitz an die Armen und gründete als Laie und Wanderprediger eine Glaubensgemeinschaft, die sich streng an die Botschaft Jesu hielt. Die nach ihm benannten Waldenser wurden durch die Inquisition verfolgt. Unter anderem überlebten sie in den abgelegenen Tälern, den sogenannten Waldensertälern im Piemont. Im 16. Jahrhundert schlossen sie sich der Reformation an und gründeten eine eigene calvinistisch-reformierte Kirche. Die Gleichberechtigung mit der katholischen Kirche durch den italienischen Staat erlangten sie am 16. Februar 1848, ein Tag, der immer festlich begangen wird. Heute leben in Italien rund 20.000 Waldenser. Seit 1975 bilden sie eine Einheit mit den italienischen Methodisten und sind eine anerkannte protestantische Kirche.
Dass über diese Glaubensgemeinschaft, die weitgehend ehrenamtlich organisiert ist und ihre Kirchen und zahlreichen sozialen Projekte über Spenden und Beiträge aus der italienischen Kultursteuer („Otto per Mille“) finanziert, in den ersten Septembertagen so viel zu erfahren war, ist Pfarrer Thomas Ludwig zu verdanken, der eine Ausstellung des Fotografen Gustavo Alàbiso über seine Erinnerungen an das Leben in der sizilianischen Kleinstadt Riesi nach Worms geholt hatte. Dazu gab es ein abwechslungsreiches Programm: einen Film über die Geschichte der Waldenser, ein Konzert mit süditalienischen Liedern, eine Podiumsdiskussion zur Kirchensteuer sowie einen Gottesdienst, dem sich ein gemeinsames Essen mit sizilianischen Spezialitäten anschloss – samt einem eigens vom Wormser Eiskonditormeister Pietro Vannini kreiertem Waldensereis. Das „LUX-Eis“ erhielt seinen Namen in Anlehnung an den Wahlspruch der Waldenser aus dem Johannesevangelium: Lux lucet in tenebris – Das Licht leuchtet in der Finsternis. Ein Abend mit Impulsen von Pfarrer Malte Dahme (Pforzheim) und Gustavo Alàbiso (Karlsruhe) rundete schließlich das Programm ab.
Die Veranstaltung mit Malte Dahme und Gustavo Alàbiso warf Fragen auf, wie Kirche verstanden und gelebt werden kann. Malte Dahme, ehemaliger Direktor des Ökumenischen Zentrum Agape von Prali (Piemont), das von 1947 bis 1951 von jungen Freiwilligen aus ganz Europa unter schwierigen Bedingungen erbaut wurde: „Es war ein Versöhnungsprojekt zwischen Menschen ehemals verfeindeter Völker, teilweise ehemaliger Kriegsgegner, die nun hier zusammenlebten und eine gemeinsame Aufgabe bewältigten.“ Motor des Projekts war der Waldenserpastor Tullio Vinay, der die Barmherzigkeit mit dem leidenden Menschen über alle nationalen und religiösen Zugehörigkeiten stellte. Das Agape Zentrum organisiert Camps für Kinder und Jugendliche, aber auch themenorientierte Tagungen für Erwachsene und vermietet das 200-Betten-Haus auch. Es wird von einem ehrenamtlichen Zwölfergremium geleitet. Es sei ein christliches Zentrum, sagte Dahme, aber der Glaube sei eine persönliche Sache, er werde hier nicht demonstriert, er werde spürbar gelebt.
1961 entsandte die Waldenserkirche Tullio Vinay mit anderen Familien, darunter auch die des damals vierjährigen Gustavo Alàbiso, in die verelendete sizilianische Kleinstadt Riesi. Dort baute der Pastor wiederum mit Hilfe von Freiwilligen die Anlage Monte degli Ulivi (Olivenberg) als „Servizio Cristiano“ auf, mit Kindergarten, Schule, Zentrum für Landwirtschaft, Familienberatungsstelle und vielem mehr. Heute wird das Zentrum professionell betrieben. Ein Satz Vinays klang bei den Zuhörerinnen und Zuhörern sicher nach: „Die Kirche verfehlt ihren Auftrag, wenn sie sich behaupten und behalten will. Sie muss das Salz der Welt sein.“